Die dritte Generation
Der Tiguan ist nach wie vor der meistverkaufte Volkswagen weltweit. Jetzt startet das SUV in die dritte Generation.
Von Wolfgang Schäffer
Der Weg in Richtung E-Mobilität ist bei VW eindeutig vorgezeichnet. Doch beim Erfolgsmodell Tiguan halten die Wolfsburger noch an Verbrennern fest. In der jetzt anlaufenden dritten Generation gibt es weiterhin Benziner und Diesel. Mit zwei Plug-in-Hybrid-Versionen, die eine elektrische Reichweite von bis zu 100 Kilometern haben sollen, baut VW allerdings eine erste Brücke in die elektrische Zukunft.
Premiere für den Mild-Hybrid
Wir waren jetzt auf einer ersten längeren Testfahrt mit dem über die Vorderräder angetriebenen und 110 kW (150 PS) starken 1,5 eTSi unterwegs. Der Motor mit Mild-Hybrid-System feiert im Tiguan seine Premiere. Und das absolut überzeugend. Denn, das sei schon mal vorweg gesagt, es geht nicht nur kraftvoll voran. Die Maschine arbeitet zudem erfreulich leise.
Maße fast unverändert
Zunächst aber einmal zur neuen Optik des inzwischen zur Ikone gereiften Autos, das 2007 eingeführt und seither mehr als 7,6 Millionen Mal verkauft wurde. Die Maße haben sich im Vergleich zum Vorgänger kaum geändert. 3,2 Zentimeter länger (jetzt 4,55 Meter), die Höhe legt um fünf Millimeter auf 1,64 Meter zu. Breite (1,94 Meter) und Radstand (2,68 Meter) hingegen bleiben gleich.
Neues Gesicht für den Tiguan
Anders die Frontpartie des SUV. Der haben die Designer auf Basis der bekannten Tiguan-DNA ein markanteres und in Details auf die elektrisch angetriebene ID-Flotte abgestimmtes Aussehen verpasst. Das gilt für die Ausstattungsvariante R-Line mit 18-Zoll-Alurädern (47.185 Euro) noch mehr als für die 1.275 Euro günstigere Elegance-Version (Leichtmetallräder in der Größe 17 Zoll), mit der wir bei zwar kühlen Temperaturen aber strahlendem Sonnenschein und wolkenlosem Himmel in der Nähe von Nizza unterwegs waren.
Unterschiede zwischen Elegance und R-Line
Die Öffnungen des Elegance-Kühlergrills sind etwas dezenter mit Querstreben statt wie in der R-Line mit einem schwarz glänzenden Wabenmuster im deutlich größer gewordenen Stoßfänger angesiedelt. Einerlei welche Optik besser gefällt, die neuen und extrem flach gezeichneten LED-Scheinwerfer sind ein echter Blickfang. Auf Wunsch gibt es das sogenannte „IQ.Light“ mit HD-Matrixscheinwerfern (495 Euro), das beispielsweise bereits im Touareg zum Einsatz kommt. Wir waren zwar nicht in der Dunkelheit unterwegs, konnten aber in einem Video erleben, wie beim so genannten „Lane Licht“ ein ausgeleuchteter Teppich in die Fahrspur des Tiguan projiziert wird und dieser genau folgt.
Licht bringt mehr Sicherheit
Schon das ist ein erkennbarer Zugewinn an Sicherheit. Die aber wird noch einmal mit dem blendfreien Dauerfernlicht erhöht. In Abhängigkeit vom gefahrenen Tempo und dem Umgebungslicht ist es permanent aktiv. Der Gegen- und auch der vorausfahrende Verkehr wird dabei passgenau ausgeblendet. Zudem erhellen die 38.400 einzeln ansteuerbaren LED auch das Umfeld am Straßenrand. Somit sind Fußgänger, Radfahrer oder auch Tiere bei nächtlicher Fahrt besser und eher zu sehen. Eine Investion also, die sich durchaus lohnt.
Mehr Raffinesse auf Wunsch
Nun aber zurück zur Optik. Unterhalb der Scheinwerfer, die auch ohne Matrix-Technologie für ausgezeichnete Lichtverhältnisse sorgen, liegt eine glasüberbaute Querspange, in der optional eine LED-Leiste integriert werden kann. Eine schöne Möglichkeit, dem Gesicht des Tiguan noch ein Spur mehr Raffinesse zu verpassen.
A-Säulen stehen nun flacher
In der Seitenansicht sind die Unterschiede zum Vorgänger unter anderem an den flacher stehenden A-Säulen und den stärker nach vorne geneigten C-Säulen zu erkennen. Die Designer wollten dem Wagen in Verbindung mit einer sportlichen Taille und einem weit nach hinten reichenden Dachspoiler schon rein äußerlich mehr Dynamik verleihen. Das ist zweifelsohne gelungen.
Wählhebel fürs Getriebe verändert
Und innen? Das Passagierabteil zeigt unverkennbare Anleihen an die ID-Familie und hier vor allem an das neue Elektro-Flaggschiff, den ID.7. So ist der Wählhebel für das serienmäßig eingesetzte Doppelkupplungsgetriebe von der Mittelkonsole auf die rechte Seite hinter dem Lenkrad gewandert. Der Drehschalter am Ende eines kurzen Lenkstockhebels hinterlässt allerdings nicht wirklich einen wertigen Eindruck. Die Optik ist nicht schön, die Haptik unterstreicht diesen Eindruck zusätzlich.
Viel Platz im Innenraum
Einer der wenigen Kritikpunkte am wie gehabt sehr geräumigen Innenraum. Vorne und hinten sind die Platzverhältnisse bestens. Das gilt auch für die Bein- und Kopffreiheit auf der bequemen Rückbank. Mit 652 Litern stehen außerdem 37 Liter mehr Volumen im Kofferraum zur Verfügung. Die beiden Bereiche der im Verhältnis ein Drittel zu zwei Drittel geteilten Rücksitzbank lassen sich je nach Bedarf unterschiedlich in der Länge verschieben, die Lehnen sind in der Neigung zu verstellen und natürlich umklappbar. Die große Heckklappe erleichtert zudem das Be- und Entladen. Das alles unterstreicht die Alltagstauglichkeit des Tiguan.
Perfekte Position am Steuer
Das gilt auch für den Platz am Steuer. Frau oder Mann, Groß oder Klein können hier eine ideale Position aufgrund der in diesem Fall elektrischen Sitzverstellung und des in der Höhe und Länge einstellbaren Lenkrads finden. Die Versionen Elegance und R-Line sind serienmäßig mit Sport-Komfortsitzen ausgestattet inklusive einer Massagefunktion in der Sitzlehne, einer Vier-Wege-Lordosenstütze und Sitzheizung. Auf der Fahrerseite kommt dabei zudem ein ergonomisch optimierter ergoActive-Sitz zum Einsatz. Der ist echt bequem und bietet eine ausreichend lange Auflagefläche für die Oberschenkel. Wir sind nach einer Fahrt über knapp 80 Kilometer komplett entspannt am Ziel angekommen.
Verzicht auf Schalter und Knöpfe
Dem Trend der Zeit folgend fehlen auch im Tiguan Schalter und Knöpfe zum Bedienen. Fast alles wird über das bei der hier gefahrenen Version des Tiguan 15 Zoll große Display gesteuert. Der Monitor ist sehr aufgeräumt, die Icons sind erfreulich groß, so dass sie auch während der Fahrt ohne allzugroße Schwierigkeiten und damit Ablenkungen mit dem Finger zu treffen sind.
Spezieller Regler für die Lautstärke
Zu loben ist die Entscheidung, einen Drehschalter für die Lautstärkeregelung auf der Mittelkonsole zwischen Fahrer und Beifahrsitz zu platzieren. Der griffige und bestens erreichbare Dreh- und Drückknopf liegt exakt am bisherigen Standort des Schalters für das Automatikgetriebe und ist mit einem OLED-Display versehen. Über den Multifunktionsschalter lassen sich unter anderem die Fahrprofile und Antriebsmodi steuern und erstmals auch vorkonfigurierte „Atmospheres“. Dabei werden die Einstellungen der Ambientebeleuchtung und des Soundsystems kombiniert.
Sprachassistent hört gut
Mit dem neuen Sprachassistenten IDA lassen sich zudem Fahrzeug- und Infotainment-Funktionen wie die Audiolautstärke per natürlicher Sprache bedienen. Darüber hinaus beantwortet IDA gezielt Fragen zu allen erdenklichen Gebieten. Dazu greift das System auf Online-Datenbanken und – als Novum – auf „ChatGPT“ zu. Diese KI wird in Kürze als Update verfügbar sein. Ein nettes Gimmick.
Head-up-Display als Option
Gelungen ist zudem die Gestaltung des digitalen Displays direkt hinterm Lenkrad. Je nach Geschmack und Vorliebe lässt sich die Ansicht verändern – von der klassischen Ansicht mit Rundinstrumenten bis hin zur Anzeige der Navigationskarte. Optional steht ein neues Head-Up-Display (735 Euro) zur Verfügung, das alle Infos bestens erkennbar in die Windschutzscheibe projiziert.
Elektronische Sprachverstärkung unsinnig
Während das durchaus sinnvoll ist, gibt eine im Audiosystem hinterlegte elektronische Sprachverstärkung Rätsel auf. Das System soll die Gesprächsakustik der Insassen im Tiguan erhöhen. Wir haben allerdings verzweifelt versucht, den Abschaltknopf dafür zu finden und waren dann ziemlich erleichtert, unsere normalen Stimmen wieder zu hören. Die Verstärkung führt nämlich dazu, dass alles klingt, als würde in eine große Blechdose gesprochen. Und der Tiguan ist nun mal alles andere als das.
Motor arbeitet leise
Vor allem ist das System unnötig, da der hier gefahrene Motor wunderbar leise seine Arbeit verrichtet. Und das nicht nur bei der ruhigen Fahrt über die Autobahn bei Tempo 130 oder auf der Landstraße, wenn der Tacho 80 anzeigt. Die kurvenreichen engen Straßen im hügeligen Hinterland der südfranzösischen Stadt laden durchaus dazu ein, das Auto ein wenig sportlicher zu bewegen. Selbst wenn der rechte Fuß das Gaspedal häufiger gegen das Bodenblech drückt, bleibt es im Inneren des Tiguan ruhig.
Verbrauch zwischen acht und zehn Litern
Eine Unterhaltung ist problemlos möglich – und auch ohne Schnappatmung wenn es dann mal recht zügig um die Ecken geht. Der WLTP-Verbrauch von 6,4 Litern rückt dann jedoch in weitere Ferne. Wer länger die Leistung des Motors ausreizt, muss damit rechnen, fast zehn Liter für die 100-Kilomter-Distanz zu benötigen. Geht es gelassen voran, sind es um die acht Liter.
Fahrwerk bestens abgestimmt
Das generell eher auf Komfort getrimmte SUV zeigt sich selbst bei sportlich angehauchter Kurvenhatz von seiner besten Seite. Der Tiguan bleibt exakt in der vorgegebenen Spur, die Lenkung reagiert direkt und die Karosserie zeigt so gut wie keinen Ansatz zur Seitenneigung. Grund dafür ist eine neue Fahrwerksgeneration, deren Ausgangsbasis der Modularen Querbaukastens evo (MQB) ist. Außer einer Reihe von Einzelmaßnahmen haben die Techniker für den Tiguan auch eine neue Generation des adaptiven Fahrwerks „DCC“ entwickelt: das optionale „DCC Pro“.
Fahrdynamikmanager integriert
Außerdem ist der neue Tiguan mit einem Fahrdynamikmanager ausgestattet. Das System steuert die Funktionen der elektronischen Differenzialsperren (XDS) und die Querdynamikanteile der im Fall des „DCC Pro“ geregelten Dämpfer. Die Handlingeigenschaften würden neutraler, stabiler, agiler und präziser, nennt VW die Vorzüge.
Viele Assistenzsysteme
Dass VW den Tiguan ab Werk mit einer Reihe von Assistenzsystemen ausrüstet, ist mehr oder weniger selbstverständlich. Nice to have ist der je nach Ausstattungsversion optionale oder serienmäßige „Park Assist Plus“, die neue Memory-Funktion für den Parkassistenten und der „Park Assist Pro“ mit Remote-Funktion. Die Grundfunktion ermöglicht das assistierte Einparken in längs oder quer zur Fahrtrichtung angeordnete Parklücken. Ebenso ist das assistierte Ausparken aus Längsparklücken möglich.
Park Assistent Plus mit Memory Funktion
Für den „Park Assist Plus“ gibt es nun eine Memory-Funktion. Ob die im Alltag genutzt wird, bleibt abzuwarten. Das System zeichnet dabei die letzten 50 gefahrenen Meter und damit die Einparksituation auf. Ist der Tiguan zum Stehen gekommen, kann das Parkmanöver gespeichert werden. Erreicht der Wagen erneut diese Position, bietet er automatisch an, das Einparken zu übernehmen.
Erfolg schein garantiert
Eine ähnliche Memory-Funktion hat Volkswagen dem Tiguan vermutlich in Sachen Erfolg eingepflanzt. Denn die Neuerungen und Verbesserungen dürften ein Garant dafür sein, dass das Modell auch in Zukunft seine Positon als meistverkauftes Modell der Marke verteidigen, wenn nicht gar ausbauen wird.